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Montag 9. Juli 1990


Ouranopolis – ein Dorf „am Ende der Welt”. Für mich ist es der Anfang meiner Reise. Ich möchte mehr sehen von diesem Land, in das mich glückliche Lebensumstände seit vielen Jahren immer wieder geführt haben. Mehr sehen als nur dieses eine Fleckchen Erde im Norden Griechenlands, am Rande des Heiligen Berg Athos.

 

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Ouranopolis ist ein kleiner Ort an der Grenze zum Heiligen Berg Athos.

 

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Das schönste an Ouranopolis sind die immer wieder auf‘s Neue zu entdeckenden Inselchen.

 

Zugegeben, es ist ein wunderschönes Fleckchen Erde mit seinen Olivengärten, dem sanft wiegenden Meer und den immer wieder aufs Neue zu entdeckenden Inselchen. Es hält mich fest mit liebgewonnenen Menschen, malerischen Sonnenuntergängen und mit seiner Unperfektheit in vielen Dingen des täglichen Lebens.

Aber was weiß ich schon wirklich von diesem Land? Bis jetzt habe ich nicht mehr gesehen, als immer nur dieses eine Dorf. Wie ist es im Süden? Wie leben die Menschen in den Bergen, wohin sich kaum ein Fremder verirrt? Vielleicht wird es mir gelingen auf dieser Reise ein paar Antworten zu finden.

Ein letzter Blick auf die bewaldeten Höhen des Heiligen Berges, dann geht es los. Das Auto ist gut vorbereitet und die Freunde, die mich bis Thessaloniki begleiten warten schon. Von hier, wo auch die letzte Landstraße in einem Sandweg endet, gibt es nur eine Richtung: Entlang der flachen Küste mit ihren weiten, selbst im Sommer fast menschenleeren Sandstränden und dann hinauf in die Wälder der Halbinsel Chalkidiki.

 

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In Stagira verkündet ein Denkmal stolz, dass der berühmte Philosoph Aristoteles hier geboren ist.

 

Überall begegnet uns Weltgeschichte. Hier die Stelle, an der Perserkönig Xerxes mit einem Kanal einst das Meer überlisten wollte. Dort das Dörfchen Stagira. Ein Denkmal verkündet stolz, dass der Philosoph Aristoteles hier geboren wurde.

Dann hoch in den Bergen, das kleine Städtchen Arnea mit seinen malerischen Häusern und einem Marktplatz, der uns zum Verweilen einlädt. Die alten Männer mit den sonnenzerfurchten Gesichtern sitzen wie eh und je vor dem Kafenion, und auch der Taxistand ändert nichts an dem Gefühl, dass hier die Zeit langsamer vergeht als anderswo.

Gleich neben den blaugrauen Limousinen, die unter ihrem verwitterten Lack auf den nächsten Fahrgast warten, erhebt sich majestätisch ein großer Baum. Seine eindrucksvolle Statur verrät, dass er lange bevor Autos an ihm vorbeiflitzten bestimmt schon osmanische Sultane vorbeireiten sah.

 

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Das Besondere in Arnea ist die Quelle, die aus einem Baum hervorsprudelt.

 

Das Besondere aber ist eine Quelle, die seit Menschengedenken aus seinem Stamm hervorsprudelt und auch im Sommer nicht versiegt. Beides erscheint wie eine sonderbare Verbindung aus ewigem Wachsen und stetigem Zerfließen. Wer kann sagen, wie vielen Menschen dieser stumme Gigant bereits willkommene Rast bot. Heute sind wir es, die sich in das jahrhundertelange Kommen und Gehen einreihen und seine Erfrischung dankbar annehmen.

Die Straße windet sich in schier endlosen Kurven nun wieder bergab und bald ist Thessaloniki erreicht. Vieles in dieser zweitgrößten Stadt Griechenlands zeugt noch heute von ihrer großen Geschichte. Seit mehr als tausend Jahren ist sie das Zentrum des südlichen Balkans und Schmelztiegel vieler Kulturen. Makedoner und Slawen, Byzantiner und Türken nannten sie Heimat.

Am Stadtrand haben die Freunde ihr Ziel erreicht und meine Fahrt geht alleine weiter. Was hält dieser erste Tag der Reise wohl noch für mich bereit? Wohin wird mich der Weg führen? Es ist später Nachmittag und vielleicht sollte ich besser hier schon nach einem Zimmer für die Nacht schauen.

Doch der fließende Verkehr trägt mich weiter, aus dem Zentrum wieder hinaus. Die Straße führt nach Süden. Zwei schmale Standstreifen rechts und links geben ihr den Rang einer Autobahn, und tatsächlich komme ich gut voran. Nur wenige Kilometer südlich von Thessaloniki nähert sich die Straße bei Katerini wieder dem Meer. Jetzt geht es, begleitet von flachen Sandstränden, kilometerweit geradeaus. Mannshohe, bunt blühende Oleanderbüsche machen aus dem Grau der Straße ein willkommenes Farbenspiel. Ab und zu zwängt sich ein Dorf zwischen die parallel verlaufenden Eisenbahnschienen und dem weiten Blau der Ägäis.

 

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Ab und zu zwängt sich ein Dorf zwischen die Eisenbahnschienen und dem weiten Blau der Ägäis.

 

Schneller als erwartet wächst auf der rechten Seite das ferne Gebirge, zu immer eindrucksvollerer Größe an. Irgendwo dort muss der Olymp sein. Wie zur Zeit der alten Göttersagen entzieht er sich auch diesmal eingehüllt in eine undurchdringliche Wolke, meinen Blicken. Verbergen sich hinter Nebelschleiern heute noch die Götter von einst? Diese Frage bleibt nur ein Gedanke im monotonen Rauschen der Fahrt, denn der Tag ist schon zu alt, um meine Route zu ändern und darauf eine Antwort zu suchen.

Kaum schwindet der Olymp langsam im Rückspiegel, da führt mein Weg bereits auf ein neues Gebirge zu. Unvermittelt biegt die Straße in eine steile Schlucht zwischen hochragenden Felsen und den bizarren Einschnitten eines Wildflusses. Die angelegten Rastplätze verraten den Rang dieser Touristenattraktion: Das Tempe Tal – Landschaft pur. Genauso habe ich mir schon als Kind die Schluchten des Balkan vorgestellt, wenn ich Karl May auf seinen Abenteuern begleitete.

So plötzlich, wie die Berge auftauchten, sind sie nun der Ebene gewichen. Begleitet vom glutroten Ball der untergehenden Sonne fahre ich an Larissa vorbei. Soll ich hier schon anhalten? Nein, jetzt ist Volos nicht mehr weit, – das schaffe ich noch. Im Zwielicht der Dämmerung erreiche ich die Stadt am Meer und letztes Tagesgrau begleitet meinen Weg in das Zentrum. Volos ist eine Großstadt voller Leben und Geschäftigkeit. Griechen sagten mir, sie sei eine der Schönsten im Land. Ich suche mir ein Zimmer für die Nacht, und morgen werde ich wissen, ob sie Recht haben.

Es ist Zeit fürs Abendessen. Außerdem kann ich es kaum erwarten, zu Fuß den Duft dieser Stadt zu erspüren. Es ist seltsam: So oft ich auch schon an das Mittelmeer gereist bin, – jedes Mal ist das Gefühl von Lebendigkeit und Hingezogensein wie neu. Was ist es, das mich so in den Bann zieht? Nur das Fremdartige? Gibt es vielleicht einen Sinn, der mehr spürt als mein Denken mir übermittelt?

Bis zur Hafenpromenade sind es nur wenige Schritte. Schon tauche ich in ein wogendes Menschenmeer. Es scheint, als sei die ganze Stadt auf den Beinen. Ich fühle mich wohl in dieser Masse aus spielenden Kindern, herausgeputzt stolzierenden Teenagern und würdevoll dahinschreitenden älteren Herren.

Kleine Segelschiffe und große Yachten liegen friedlich Seite an Seite fest vertäut am Kai. Eine schöner als die andere, zeigen sie stolz den Reichtum ihrer Besitzer. Ihnen gegenüber reiht sich, getrennt durch die langsam fließende Menschenwoge, ein Lokal an das andere. Von Griechisch bis International, vom alten Kafenion bis zum plastikglänzenden Fast Food Tempel.

Die Hitze dieses Sommerabends gibt Anlass für ein kühles Bier. Es gefällt mir einfach dazusitzen und den vorbeiflanierenden Menschen zuzusehen. Langsam muss ich nach einem Restaurant für das Abendessen Ausschau  halten. Wie so oft ist es eine kleine Seitenstraße, die, wenn mich nicht alles täuscht, mit sechs kleinen Tischen im Freien und dem grell erleuchteten Schild „Ouzerie“ das Lokal birgt, das ich suche. Schwertfisch, Skordalia und der Auberginensalat bestätigen, – die Wahl war richtig.

Als ich nach einem hervorragenden Mahl die Rechnung zahle, erlebe ich etwas Ungewohntes. Meine ansonsten nicht nur gern gesehene, sondern geradezu erwartete Gewohnheit, ein kleines Trinkgeld zu geben, stößt beim Kellner auf völliges Unverständnis. Dreimal muss ich ihm bestätigen, dass der Rest des Geldes wirklich für ihn ist bis er es, immer noch zögernd einsteckt. Scheinbar ist man hier in der zweiten Reihe nicht gewohnt, dass ein Gast mehr zu geben hat als das Notwendigste. Ist dies eine Großstadt in Griechenland? Haben diese Menschen ihren Stolz bewahrt oder gab es hier noch keine Touristenlawine, die sie geldgierig machte? In dem Dorf, das ich kenne, ist das schon lange anders

 

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