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Mittwoch 11. Juli 1990

 

Es ist noch früh. Nach einem schnellen Frühstück in einem der wenigen schon geöffneten Kafenions verlasse ich Volos in Richtung Süden. Heute habe ich mir ein Ziel gesetzt. Ich möchte das Orakel von Delphi besuchen. Der erste Teil der Fahrt führt durch flaches Land, obwohl die Berge immer in Sichtweite bleiben. Als ich die Meerenge erreiche, die Euböa vom Festland trennt, führt die Straße wieder direkt an der Küste entlang. Jetzt dauert es nicht lange, und im staubigen Dunst des heißen Vormittags liegt Lamia vor mir.

Die ersten Gassen machen einen verschlafenen Eindruck, der sich, je näher ich dem Zentrum komme, jedoch ins Gegenteil kehrt. Ich beschließe, Rast zu machen, um ein wenig von der Luft dieser Stadt zu schnuppern. Mitten auf dem großen Marktplatz thront stolz ein bronzenes Unabhängigkeitsdenkmal. Gleich daneben haben ein halbes Dutzend Cafés unter schattigen Markisen ihre Tische ausgebreitet.

Ich nehme Platz und beobachte das Treiben der Menschen um mich herum. Besonders faszinierend sind die drei alten Männer am Nachbartisch. Sie schauen mit großen, klaren Kinderaugen und stechendem Blick aus ihren faltenzerfurchten Gesichtern. Ihre heftige, gestenreiche Diskussion lässt ahnen, welch tolle Kerle sie in ihrer Jugend waren. Mit ihren weißen Haaren, den buschigen Augenbrauen und dem gigantischen Schnauzbart scheint es, als wären die bronzenen Freiheitskämpfer des Denkmals lebendig geworden und auf einen Mokka von ihrem Ehrenplatz herabgestiegen. Wer weiß, vielleicht hatten sie ein ähnliches Schicksal. Allerdings zogen die bronzenen Helden einst gegen Türken ins Feld, während diese alten Männer gegen Deutsche kämpfen mussten. Hoffentlich können sie mit mir schon in Frieden leben.

 

In vielen Kurven schraubt sich die Straße langsam hinauf in den Parnass, das majestätische Gebirge im Süden.

 

Es geht weiter. Direkt hinter Lamia schraubt sich die Straße langsam hinauf in den Parnass, das majestätische Gebirge im Süden. Die Fahrt geht flott voran, und als ich an der ersten Bergkette vorbei bin, empfängt mich ein phantastisches Panorama. Vor mir liegen endlose Gipfelketten hintereinander aufgereiht, wie gigantische Wellenkämme in einem steingewordenen Meer. Immer höhere Bergspitzen erheben ihre schroffen Felsen in Regionen, wo ihnen kein Baum, kein Pflanzenwuchs mehr folgen kann.

Jede neue Aussicht genießend, die sich hinter der nächsten Straßenbiegung zeigt, rolle ich meinem Tagesziel Delfi entgegen. In der Ferne tauchen zwei Kleinwagen auf, die sich beim Näherkommen als DDR Trabbis erweisen. Ach ja, – die Mauer ist gefallen. Für die Insassen ist dies vermutlich der erste Urlaub am Mittelmeer. Was mag das für ein Gefühl sein?

Es ist schon später Nachmittag, als die letzten Berge schließlich zaghafte Blicke auf das Meer freigeben und Delfi erreicht ist. Der Ort liegt am südlichen Abhang des Parnass, mit herrlichem Blick auf die flache Küste und den Golf von Korinth. Als erstes bemerke ich, dass der Preis für die Übernachtung hier deutlich höher ist als anderswo. Doch was bleibt mir übrig? Ich muss zahlen, was es kostet, und habe schnell ein Zimmer gefunden. Einem ersten Spaziergang zur Erkundung des Ortes steht nichts mehr im Wege.

Was auf den ersten Blick wie ein verschlafenes Dorf wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als perfekte Geldmaschine. Delfi ist ein kleiner Ort, dessen Einwohnerzahl überschaubar ist, aber in dieser Jahreszeit kommen täglich tausende Besucher aus der ganzen Welt hinzu. Eine kaufkräftige Menschenlawine, auf die hier alles völlig eingerichtet ist. Geschäft reiht sich an Geschäft, Bar an Bar, Hotel an Hotel.

Bei meiner Runde entlang der Hauptstraße kehre ich kurz in zwei Lokale ein und erlebe jedes Mal das Gleiche. Obwohl die Kellner scheinbar gut geschult sind und die wichtigsten Redewendungen in fast allen europäischen Sprachen beherrschen, ist die Qualität des Angebotes jedes Mal schlecht und die Bedienung lieblos und unfreundlich. Das ist nichts Ungewöhnliches in diesem Land, doch hier in Delfi sind die Preise dabei so hoch, wie ich es in Griechenland noch nicht erlebte.

 

Griechenland 030

Von der Terrasse des Hotelrestaurants habe ich einen wunderbaren Ausblick auf das Meer und den Hafenort Itea.

 

Es ist schon spät, und auch nach langer Suche gelingt es mir nicht, ein Restaurant zu finden, das nicht völlig mit Touristenkitsch aufgemacht ist. Ich beschließe, einfach ins Hotel zurückzukehren und dort das Abendessen einzunehmen. Das Hotelrestaurant öffnet sich zu einer großen Terrasse, die hinter dem Haus hoch über dem Tal wie ein Schwalbennest am Felsen hängt. Von hier habe ich einen wunderbaren Ausblick auf das Meer und den Hafenort Itea, wo schon im Altertum die Schiffe mit den Pilgerströmen zum Orakel von Delphi anlegten.

Nach den ersten Bissen von der Vorspeise stelle ich fest, dass auch in diesem Restaurant Service und Qualität so sind, wie ich es nach meinem kurzen Ausflug in die beiden anderen Lokale fast erwarten musste. Für viel Geld gibt es wenig Leistung. Sollte das die griechische Gastfreundschaft von heute sein, dann ist dieses Land keine Reise mehr wert. Aber vielleicht haben die Geschäftsleute von Delfi sogar Recht. Warum sollen sie nicht so viel mitnehmen, wie sie bekommen können. Die Meisten ihrer Gäste kommen sowieso kein zweites Mal hierher. Dafür gibt es jahrein, jahraus, endlose neue Touristenströme, die niemals versiegen. Seit zweieinhalbtausend Jahren hat sich hier nichts verändert

 

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